Engram

»I have both memory-tracks grafted inside my head;
one is real and one isn't but I can't tell which is which.
Why can't I rely on you?«


Philip K. Dick – Total Recall

Die Arbeit „Engram“ stellt eine zentrale Frage an unsere Identität: Wie viel Wahrheit steckt in unseren eigenen Erinnerungen, und wie sehr können wir dem trauen, was wir in uns selbst gespeichert haben?

Falsche Erinnerungen

Unsere inneren Bilder der Vergangenheit verblassen mit der Zeit – sie unterliegen einer Metamorphose. Ereignisse, die lange zurückliegen, werden unscharf, entwickeln Lücken, fragmentieren sich, werden ergänzt, tauchen auf und verschwinden wieder. Sie verändern sich – genauer gesagt: Wir verändern sie. Engramme, physische Spuren im neuronalen Gewebe, die gemeinsam unser Gedächtnis bilden, entpuppen sich als fließendes Konstrukt: Sie sind keine Konstanten, sondern Variablen – ständig in Veränderung. Unsere Erinnerungen sind individuell, relativ und in jedem von uns einzigartig strukturiert. Wie steht es also um ihre Objektivität? Können wir ihnen – und damit uns selbst – trauen, wenn wir die Vergangenheit durch innere Bilder in die Gegenwart holen?

Generiertes Bildmaterial vs. gefundenes Bildmaterial
Die Grundlage dieser Arbeit bilden 167 Schwarzweißfotografien, gefunden in einem alten Fotoalbum, das die Reise zweier Paare nach Italien im Jahr 1954 dokumentiert. Sorgfältig arrangiert, dienen sie als geordnete Erinnerungshilfe an längst vergangene Momente. Im Lauf der Zeit gingen einige dieser Bilder verloren – leere Stellen und übriggebliebene Fotoecken im Album zeugen von den fehlenden Erinnerungen. Diese Lücken fülle ich nun, 70 Jahre nach der Entstehung der Aufnahmen, wieder auf.

Engram_Album_

Die 167 vorhandenen Fotografien dienen als Ausgangspunkt für ein künstliches neuronales Netzwerk, das neue Bilder generiert, um die Lücken des verlorenen Materials zu füllen: Bilder von Ereignissen, die so tatsächlich nie stattgefunden haben, sondern von einer Maschine auf Basis stochastischer Prinzipien erzeugt wurden. Diese künstlich geschaffenen Darstellungen fügen sich nahtlos in die realen Bilder ein und erweisen sich – ähnlich wie unsere eigenen Erinnerungen – als bloße Annäherungen an die Wirklichkeit. Sie verzerren die Realität, so wie auch wir im Laufe der Zeit unsere Erinnerungen verzerren.

Das „Generated Footage“ und das „Found Footage“ wurden in einer Collage verschränkt und ergeben ein melancholisches Erinnerungsbild, das zwischen Simulation und Abstraktion oszilliert. Im kreativen Prozess konfrontiere ich sie miteinander, setze sie gleich, löse sie von ihrer tatsächlichen oder künstlich erzeugten Realität und überführe sie in eine neue Form der Darstellung, die fragmentarisch und flüchtig erscheint.

Die Frage, die der Protagonist in Philip K. Dicks dystopischer Erzählung Total Recall verzweifelt an seine Frau richtet, sollte auch an uns selbst gerichtet werden:
Why can’t I rely on you?

Credits
Titel: Engram
Format: 16:9 (UHD) 4K
Länge: 05 min 07 sek
Video: Stefan Macheiner
Audio: Simone Salvatici
2024

Engram

Ergänzend zur Videoarbeit zeigt eine analoge, achtteilige Serie das im Video verwendete Bildmaterial hinter satiniertem Glas.

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"Engram 01-08", achtteilige Serie, Fotopapier, satiniertes Glas 22 × 22 cm, 2024

Stefan Macheiner
Studio: Lederergasse 67, 4020 Linz, Austria
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